Offener Brief an die Eisenberger Bürger*innen

Rückblick:


20.08.2021

Liebe Eisenberger Bürger*innen,

Ende August findet Ihr Stadtfest nun schon zum zweiten Mal als M-Fest statt (wir halten das Wort „Mohr“ für herabsetzend und kürzen es deshalb mit M ab). Bereits 2019, als das Stadtfest erstmals unter diesem Namen abgehalten wurde, stand Eisenberg bundesweit in der Kritik. Seitdem ist einiges passiert: Die Black Lives Matter-Bewegung hat auch hierzulande eine breite gesellschaftliche Debatte über Rassismus und seine verschiedenen Gesichter angestoßen. In mehreren deutschen Städten wurden M-Apotheken umbenannt; Berlin hat die Umbenennung seiner altehrwürdigen M-Straße beschlossen. Jüngst hat die Stadt Kassel das M-Wort sogar geächtet, um ein Zeichen gegen rassistische Symboliken im öffentlichen Raum zu setzen.

Nach dem ersten Eisenberger M-Fest kam es noch 2019 zu einem Gespräch zwischen Stadtverwaltung und Kritiker*innen. Das Gespräch verlief freundlich und konstruktiv, danach passierte jedoch nichts. Wir sind deshalb Anfang diesen Jahres erneut an die Stadt herangetreten und im April 2021 fand dann ein zweites Gespräch statt. Bürgermeister Kieslich führte eine höchst fragwürdige Argumentation an. Der Name des Festes könne weder kolonial geprägt noch rassistisch sein, da er an die Holzlandsagen anknüpfe, die – 1870 als Buch erschienen – älter sind als der 1884 einsetzende Kolonien-Erwerb des Kaiserreichs. Wir haben ihn sogleich darauf hingewiesen, dass die koloniale Eroberung der Welt Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt und dass Deutsche von Anfang an auf vielfältige Weise an ihr beteiligt waren. Das in diesem Rahmen entstandene Wissen ist hierzulande breit zirkuliert und dürfte mit Sicherheit auch Eisenberg erreicht haben. So zum Beispiel die 1784 veröffentlichte Abhandlung „Über die körperliche Verschiedenheit des M***** vom Europäer“, in der der deutsche Anatom Samuel Thomas Soemmerring die Menschheit in verschiedene „Rassen“ hierarchisiert und Schwarze Menschen zwischen Affen und Europäer*innen ansiedelt.

Erlauben Sie uns bitte, Sie kurz über die wichtigsten historischen Fakten und Zusammenhänge zu informieren. Die M-Symbolik ist in der Tat älter als der Kolonialismus – mehrere Jahrhunderte sogar. Bis in die Renaissance-Zeit hinein ist sie umkämpft und widersprüchlich: Mit positiver Bedeutung ist etwa Mauritius, der edle Schwarze Ritter, versehen, mit negativer der Höllen-M. Das ändert sich mit der europäischen Kolonisierung von Nord- und Südamerika und der transatlantischen Sklaverei. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts ist die M-Symbolik im deutschsprachigen Raum eine eindeutig rassistische Bezeichnung, die Schwarze Menschen als untergeordnet und minderwertig markiert. Das M- und das N-Wort sind seitdem in vielen Verwendungszusammenhängen austauschbar. Auch haben sich die bildlichen Darstellungen geändert: vom edlen Ritter zum orientalisch aufgemachten Diener oder zum halbnackten Wilden mit Bastrock.

Genau diese herabsetzende Bilderwelt kommt auch in der Eisenberger M-Sage um einen Schwarzen Diener sowie in der Statue auf dem lokalen M-Brunnen zum Ausdruck. Der Schriftsteller Rainer Hohberg hat schon vor einem Jahrzehnt die Eisenberger Sage mit der transatlantischen Sklaverei in Verbindung gebracht (Thüringer Allgemeine, 19.5.2011): Die Eisenberger Herzöge waren im 18. Jahrhundert vermutlich zu arm, um sich die an anderen Fürstenhöfen beliebten Kammer-M, zu Dienern versklavte Schwarze Menschen, zu leisten. Sie wollten aber zumindest symbolisch am damaligen Rassismus teilhaben und haben deshalb die Sage vom Eisenberger Diener-M in die Welt gesetzt.

Wollen Sie, liebe Eisenberger*innen, mit Ihrem Stadtfest wirklich an so etwas anknüpfen?

Bei dem Gespräch mit der Stadtverwaltung im April 2021 wurde vereinbart, sich drei weitere Male zu treffen. Bei einem ersten Treffen sollte ein Austausch über die Eisenberger M-Symbolik im Kontext der Kolonialgeschichte stattfinden, beim zweiten Treffen sollte es um rassistische Stereotype und ihre gesellschaftliche Verankerung gehen, beim dritten Mal wollten wir über Lösungsmöglichkeiten für das Eisenberger M-Fest reden. Abgemacht war mit der Stadtverwaltung, dass sie sich mit Terminvorschlägen bei uns meldet. Das ist nicht passiert. Stattdessen haben wir aus der Zeitung erfahren, dass noch in diesem Sommer ein zweites M-Fest stattfinden soll. Das ist nicht nur schlechter Stil. Es zeigt auch, dass von Seiten der Stadtverwaltung keine Bereitschaft besteht, sich ernsthaft mit antirassistischer Kritik auseinander zu setzen, geschweige denn den Weg in eine inklusive und diskriminierungsfreie Gesellschaft zu gehen.

Die Stadtverwaltung und die von ihr beauftragte Marketingagentur haben Eisenberg in eine Lage hineinmanövriert, in der die Stadt ausgesprochen schlecht dasteht – ein beschädigter Ruf, der auch keineswegs den Geschäftsinteressen der lokalen Gewerbetreibenden dienlich sein dürfte. Dabei ließe sich diese Situation mit ein bisschen politischer Kreativität und Reflexionsbereitschaft leicht auflösen. Das Stadtfest könnte in Zukunft z.B. Mauritius-Fest heißen und in Eisenberg gäbe es dann Ritter- bzw. Römerfestpiele. So viel Hollywood geht auch in Thüringen.

Es liegt jetzt an Ihnen, liebe Eisenberger*innen, dass das Ansehen Ihrer Stadt keinen weiteren Schaden nimmt. Wir bleiben auch in Zukunft für Sie ansprechbar, selbst für Ihre Stadtverwaltung.

Erster Unterzeichner*innen

Es ist weiterhin möglich, diesen Offenen Brief durch Unterzeichnung zu unterstützen. Dazu bitte eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! schicken. Eine regelmäßig aktualisierte Version mit allen Unterstützer*innen ist auf der Seite des Thüringer Antidiskriminierungsnetzwerks (thadine) verfügbar: www.thadine.de/eisenberg.

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